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26. Juni 2013 – Arnsberg, Kapitelsaal des ehemaligen Klosters Wedinghausen

26. Juni 2013: Workshop "Schatzungs-und Steuerlisten als Quellen der landesgeschichtlichen Forschung" im Kapitelsaal des ehemaligen Klosters Wedinghausen, Arnsberg. Veranstaltet von der Historischen Kommission für Westfalen, dem LWL-Archivamt für Westfalen und dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen.

Tagungsbericht von Sebastian Watermeier

Veranstalter: Historische Kommission für Westfalen, LWL-Archivamt für Westfalen und Landesarchiv Nordrhein-Westfalen

Bei der Begrüßung der rund 60 Teilnehmer brachte es der Arnsberger Bürgermeister Hans-Josef Vogel schon zum Ausdruck: Schatzungs- und Steuerlisten haben als Schriftzeugnisse einen hohen Quellenwert. Dabei betonte er vor allem den stadt- und ortsgeschichtlichen Nutzen. Immerhin seien die meist in den Kirchspielen erstellten Listen Zeugnisse einer frühen kommunalen Verwaltung, ermöglichten aber auch Rückschlüsse auf das Zusammenleben in der Gemeinde und die soziale Situation der Gemeindemitglieder. Auch pädagogisches Potenzial entdeckte der Bürgermeister – mancher Interessierte erkenne in den Schatzungslisten seines Heimatortes den eigenen Familiennamen wieder. Gerade für Kinder und Jugendliche sei das ein vielversprechender Ansatz, um die Geschichte der eigenen Heimatstadt zu vermitteln und erfahrbar zu machen.

Dr. Wolfgang Stumpf, der Leiter des LWL-Archivamts, berichtete von der Entstehungsgeschichte der quellenkundlichen Workshops, die aus intensiven Beratungen mit der Historischen Kommission hervorgegangen waren. Da die Archive mit zunehmend knapperem Personal und begrenzten Mitteln eine umfassende Aufarbeitung des bei Ihnen befindlichen Quellenmaterials allein nicht mehr leisten könnten, seien verständliche Erläuterungen zu den verschiedenen Quellengattungen eine wichtige Hilfestellung. Schließlich sei es dringend erforderlich, die Nutzbarkeit und Zugänglichkeit des Archivguts für die breite Öffentlichkeit zu verbessern. Davon erhoffe Stumpf sich auch eine stärkere Nutzung in der universitären Lehre und eine Wiederheranführung der Studierenden an die Arbeit mit Originalquellen.

Dr. Mechthild Black-Veldtrup, Leiterin der Abteilung Westfalen des Landesarchivs NRW, bekräftigte dies. Es bestehe ein dringendes Interesse der Archive an der Zugangserleichterung für die Nutzer. Das Landesarchiv befördere dies sowohl über die Erstellung von Handreichungen in Publikationsform, die über das Archiv verfügbar seien, als auch durch die Mitwirkung an verschiedensten Tagungen und Veranstaltungen.

Mit seinem Eröffnungsbeitrag führte Prof. Wilfried Reininghaus, der Vorsitzende der Historischen Kommission für Westfalen, ins Thema des Workshops ein. Auch für ihn sind Schatzungslisten eine höchst attraktive Quellenform. Sie müssten jedoch von ihrem Entstehungszusammenhang her verstanden werden, also zunächst einmal als ein Zeugnis des obrigkeitlichen Eingriffs in den Alltag der Menschen. Da transparente Staatshaushalte in der Vormoderne fehlten, seien Schatzungs- und Steuerlisten eine wichtige Quelle für die

Möglichkeiten der Territorialherren, sich Kapital zu beschaffen. Deren Gesamteinkünfte speisten sich grundsätzlich aus vier Quellen: aus den Einkünften der Domänen, aus Regalien, aus Steuern und aus außerordentlichen Einkünften. Hierzu unterschied Reininghaus zwei Epochen, wobei er für das Spätmittelalter die Erwartung an die Landesherrn herausstellte, ihre Ausgaben aus dem Einkommen der Domänen und Regalien zu decken, während spätestens ab dem 15. Jahrhundert dann ordentliche wie außerordentliche Steuern die dominierende Rolle übernommen hätten. Den Prozess der Steuererhebung habe man sich als einen Aushandlungsprozess zwischen dem Herrscher und den Landständen vorzustellen, bei dem das Kräfteverhältnis durch äußere Umstände in beide Richtungen verschoben werden konnte. In der Frage nach der Steuerpflicht drückte sich zudem das Ringen der Adligen und Geistlichen mit dem Bürgertum und der Bauerschaft um Privilegien und Status aus. Außergewöhnliche Belastungen des Staatshaushalts durch Kriege, aber auch die stetig steigenden Kosten der Hofhaltung führten zu einem Anwachsen der Staatsverschuldung, die durch Zinsen fortlaufende Mehrkosten produzierte, und beschleunigten die Findungspraxis neuer Steuern und Abgaben. Mit den Hoffaktoren entstand nun eine gänzlich neue Funktion bei Hofe, die sich ausschließlich mit Finanzierungsfragen beschäftigte. Reininghaus ergänzte seine Ausführungen mit Beispielen aus der Grafschaft Mark, die als preußisches Territorium sowohl eigene Verpflichtungen zu erfüllen als auch Mittel nach Berlin abzuführen hatte.

In ihrem Vortrag stellte Dr. Mechthild Black-Veldtrup die Schatzungslisten als Quellengattung näher vor. Den Prozess der Schatzung beschrieb sie als im 17. Jahrhundert bereits vollständig institutionalisiert. Hierdurch sei ein mehr oder minder standardisiertes Prozedere bei der Schatzung begründet worden. Mitunter blieben, gerade bei häufigerem Aufeinanderfolgen der Schatzungen, die Erhebungsbezirke, die in der Regel innerhalb der Grenzen der Kirchspiele aufgebaut waren, auch bestehen. Der Betroffenenkreis konnte stark variieren. Nicht allein die grundsätzliche Frage der Steuerpflicht bestimmter Personengruppen, sondern auch sach- oder anlassbezogene Schatzungen entschieden über die Zusammensetzung des Betroffenenkreises. Nicht zuletzt wurde durch die vorherige Festlegung eines Solls für die Schatzung bereits mit darüber entschieden, in welcher Eindringlichkeit sie erhoben werden musste. Black-Veldtrup präsentierte zum Abschluss des Vortrages Abbildungen verschiedener Schatzungslisten, darunter aus der Münsterschen Willkommensschatzung oder aus den Viehschatzungen der Grafschaft Tecklenburg.

Michael Gosmann, der Leiter des Stadtarchivs Arnsberg, konnte vom Bestand seines Archivs an Schatzungslisten berichten. Als Verwaltungssitz im kurkölnischen Herzogtum Westfalen befanden sich bis 1802 große Bestände an Schatzungsdokumenten in Arnsberg. Bei der Besetzung des Landes in der Umbruchzeit war die Sicherung dieser Verwaltungsdokumente oft eine ersten Maßnahmen, um weiterhin Steuern einziehen zu können. Nach der Übernahme durch Preußen wurde ein großer Teils der Bestände an zentrale Instanzen abgegeben, ein kleinerer Teil blieb jedoch in Arnsberg erhalten und wird als Sonderbestand des Stadtarchivs verwahrt. Hier wird diese Quelle bis heute von der regionalen Forschung oft und gern genutzt.

Dr. Wolfgang Bockhorst vom LWL-Archivamt für Westfalen nahm die untere Verwaltungsebene näher in den Blick und beleuchtete die Rolle der Steuereinnehmer, der „Rezeptoren“. Sie hätten in doppelter Verantwortung gestanden – einerseits gegenüber dem Landesherrn, andererseits gegenüber ihrem eigenen Kirchspiel. Oft seien sie dadurch in Zwangslagen gekommen, beispielsweise wenn sie ausstehende Schatzungseinnahmen aus eigener Tasche vorstrecken mussten. Gleichzeitig sei aber eine zunehmende Professionalisierung der Rezeptorenrolle zu beobachten gewesen, die mit einer Erweiterung der Zuständigkeiten einherging. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde den Rezeptoren sogar die Verantwortung für das Erheben von Kontributionen übertragen. Da das Salär der Rezeptoren aus dem Schatzungserlös bestritten worden sei, hatten die meist ortskundigen Rezeptoren ein erhebliches eigenes Interesse am Erfolg der Schatzung.

Dr. Ralf Klötzer stellte das Projekt der Häuserbücher der Stadt Münster vor und erläuterte dabei den herausragenden Quellenwert der Schatzungslisten für dessen Erstellung. Die akribische Arbeit der Rezeptoren bei ihrem Gang von Haustür zu Haustür und die Informationen, die sich den Listen für Beruf, Familienstand und soziale Situation der Bewohner entnehmen lassen, seien eine wichtige Grundlage des Projekts. Die enge zeitliche Abfolge der Schatzungen erlaube es, den Wandel der Einwohnerschaft bis hin zu individuellen Biographien und Stammbäumen über den in den Schatzungslisten abgebildeten Zeitraum von 1548 bis 1802 nachzuvollziehen.

Abschließend stellte Dr. Friedel Helga Roolfs von der Kommission für Mundart- und Namensforschung Westfalens die namenkundliche Auswertung von Schatzungslisten in den Fokus. Sie erfüllten aus sprachgeschichtlicher Sicht zwei wichtige Aufgaben. Zum einen ermöglichten sie die Betrachtung der Veränderung von Familiennamen über die Zeit hinweg; hierüber könne man sich der ursprünglichen Bedeutung eines Familiennamens annähern und voreilige Fehlinterpretationen aufgrund späterer Namensformen einschränken. Zum anderen seien Schatzungslisten wichtige Quellen für die Namengeografie, für die ein umfangreicher Namenkorpus benötigt wird, um die regionale Verteilung von Namen nachvollziehen zu können. Roolfs zeigte auf, wie die Namenforschung die landesgeschichtliche Forschung unterstützen kann, indem zum Beispiel der Nachweis geführt werden könne, wie mentalitäts-, herrschafts- oder geschlechtergeschichtliche Phänomene ihren Niederschlag in Namengebung und Namengestaltung gefunden hätten.

Die Beiträge der Tagung stießen auf reges Interesse des Publikums und gaben Raum für angeregte Diskussion unter den Teilnehmern. Ein Druck der Vorträge ist in der Schriftenreihe des LWL-Archivamtes für Westfalen geplant.

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