IV. Workshop für Doktorandinnen und Doktoranden zur Geschichte Westfalens
Tagungsbericht von Dr. Jan-Hendrik Evers
Am 25. und 26. März 2021 fand der vierte Workshop für Doktorandinnen und Doktoranden zur Geschichte Westfalens statt. Anders als ursprünglich geplant wurde die Veranstaltung nicht wie in den letzten beiden Durchgängen 2017 und 2019 im Freiherr vom Stein-Saal der Bezirksregierung Münster abgehalten. Die Corona-Pandemie 2020/21 veranlasste die Historische Kommission dazu, neue Wege zu beschreiten und die Tagung komplett digital via des Videokonferenzsystems Zoom durchzuführen. Trotz der angespannten Lage besaßen somit auch in diesem Jahr wieder zwölf Doktorandinnen und Doktoranden die Möglichkeit, ihre thematisch breit gefächerten Dissertationen einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. Da landesgeschichtliche Themen an den Universitäten eher zu den randständigen Forschungsfeldern gehören, ist es für Nachwuchsforscherinnen und -forscher umso wichtiger, den überuniversitären Austausch zu suchen und sich neue Anregungen von außen zu holen.
In insgesamt vier Sektionen gaben die Doktorandinnen und Doktoranden Einblicke in den Stand ihrer jeweiligen Dissertation. Nach einer kurzen Begrüßung von Workshop-Leiter Dr. Jan-Hendrik EVERS (Münster) führte die erste Vorsitzende der Historischen Kommission Prof. Mechthild BLACK-VELDTRUP (Münster) in die Veranstaltung ein. Die erste Sektion stand unter dem Titel Verwaltung und wurde von Frau Prof. Siegrid WESTPHAL (Osnabrück) eröffnet. Julia FESCA (Osnabrück) stellte als Erste das Thema ihrer Dissertation vor. Fesca untersucht in ihrer Arbeit die Armenfürsorge in einem bikonfessionellen Territorium am Beispiel der Stadt Osnabrück im Zeitraum von 1543 bis 1810, wobei der Fokus auf der Zeit nach 1555 (Augsburger Religionsfrieden) und 1648 (Westfälischer Frieden) liegt. In ihrem Vortrag schilderte sie unter anderem das Verhältnis zwischen dem protestantischen Stadtrat und dem katholischen Domkapitel hinsichtlich der Organisation der Armenfürsorge. Fesca stellte die These auf, dass in der praktischen Verwaltung und der Versorgung der Bedürftigen ein aus heutiger Sicht durchaus als pragmatisch zu bezeichnender Umgang mit der konfessionellen Zugehörigkeit geherrscht zu haben scheint.
Im zweiten Vortrag befasste sich Philipp GATZEN (Bonn) mit den Statthaltern des Kölner Kurfürsten Clemens August von Bayern (1723–1733). In den einzelnen Bestandteilen Kurkölns, das in der Forschung als eine Composite Monarchy bezeichnet wird, war Clemens August nur selten persönlich anwesend. Gatzen erklärte in seiner These, dass daher die Einsetzung von Statthaltern territorialübergreifend zum festen Bestandteil der Herrschaftspraxis des Kurfürsten gehörte. Den dritten und letzten Vortrag dieser Sektion bestritt Sebastian SCHRÖDER (Münster). Im Vortrag selbst beleuchtete Schröder die Arbeit des Steuerrats (commissarius loci), der als landesherrlicher Beamter vor Ort die Angelegenheiten in den neuen Städten überwachen sollte. Der Steuerrat fungierte als Sprachrohr zwischen der preußischen Obrigkeit und den Untertanen. Er war verpflichtet vor Ort für Ordnung zu sorgen und die Dekrete des Königs umzusetzen. Laut Schröder sei es den Untertanen und ortsansässigen Adligen dennoch möglich gewesen eigene Forderungen durchzusetzen und sich in manchen Fällen sogar gegen den Steuerrat zu behaupten.
Im Anschluss an diese Sektion fand eine virtuelle Kaffeepause statt. Zwar konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht in Präsenz austauschen, die Möglichkeit eines Austauschs sollte ihnen aber dennoch nicht verwehrt bleiben. Aus diesem Grund wurden nach Sektionen eingeteilte Break-Out-Rooms erstellt, die seitens der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gut angenommen wurden.
Die zweite Sektion widmete sich dem Thema Adel und wurde von Prof. Werner FREITAG (Münster) geleitet. Den Anfang machte Petra MEUWSEN (Hagen), die eine als Fallstudie angelegte Dissertation zu den Ministerialen an der mittleren Ruhr bis 1350 anfertigt. Anhand von zehn Familien der Ruhrregion untersucht Meuwsen die herrschaftsübergreifenden sozialen Ordnungsstrukturen der Ministerialen, ihre Beziehungsnetzwerke und wirtschaftliche Situation. Lars Lennart SCHULZE (Freiburg) behandelte in seinem Vortrag die vordergründig pragmatisch ausgerichtete Verwandtschaftspolitik der Sachsen mittels Eheschließungen (Konnubien) und deren langfristige innen- wie außenpolitischen Auswirkungen. Persönliche Beziehungen (soziales Kapital) seien, so Schulze, das wichtigste politische Mittel gewesen. In seiner Untersuchung möchte Schulze unter anderem der Frage nachgehen, wie soziales Kapital gepflegt und vermehrt wurde. Im letzten Beitrag des Tages erläuterte Lisa Marie BERGANN (Bonn) das Vorgehen zu ihrem Promotionsvorhaben. Unter anderem stellte Bergann die frühneuzeitlichen Rollenbilder adliger Frauen aus der Grafschaft Lippe an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert vor, die sich vornehmlich in Töchter, Ehefrauen, Mütter, Landesmütter, (Vormundschafts-)Regentinnen, Witwen und Äbtissinnen gliederten. In ihrer Arbeit möchte sie mehrere Akteurinnen miteinander vergleichen, um idealerweise die Handlungsspielräume lippischer Gräfinnen im politischen Geschehen modellhaft darstellen zu können.
Der zweite Workshop-Tag wurde von Prof. Mechthild BLACK-VELDTRUP (Münster) mit der dritten Sektion Handel und Wirtschaft eröffnet. Jan-Willem WATERBÖHR (Bielefeld) stellte den Zuhörerinnen und Zuhörern im ersten Vortrag den im 14. Jahrhundert lebenden Dortmunder Hansekaufmann und Ratsherrn Konrad Bersword vor. Waterböhr kann mit seiner Dissertation zeigen, dass Konrad Bersword aktiv in der Hanse und im Fernhandel beteiligt war. Dennoch sei er kein politischer Kaufmann gewesen, auch wenn seine Amtszeit als Ratsherr in Dortmund immer wieder Verbindungen zur Hanse oder zu deren Akteuren und Gruppen aufweist. Somit wird die Hanse auf regionaler Ebene durch das Handeln der Akteure sichtbar. Diese müssen aber, so Waterböhr, gruppenbezogen im jeweiligen städtischen Kontext analysiert werden. Vom späten Mittelalter ging es mit Johanna WEBER (Bochum) in die Zeit des Nationalsozialismus. Weber behandelt in ihrer Dissertation das Rheinisch-Westfälische Kohlen-Syndikat und setzt sich mit der Marktordnung, Marktbereinigung und Marktmacht am Beispiel des Kohlenmarktes auseinander. Wie Weber erklärte, galt das RWKS als Synonym und Musterbeispiel für ein marktmächtiges Kartell, das versucht habe, zu einer strafferen Verkaufsorganisation zurückzukehren und eine Bereinigung des Marktes anzustreben.
Kultur und Religion lautete das Thema der letzten und vierten Sektion, die unter der Leitung von Dr. Andreas OBERDORF (Münster) stand und insgesamt vier Vorträge beinhaltete. Maik KEMPE (Münster) informierte uns als Erster über sein Dissertationsprojekt. Er untersucht darin den Einfluss Friedrich Althoffs auf die Berufungspolitik am Beispiel des Kirchenhistorikers Max Sdralek, bei dem nicht dessen wissenschaftliche Qualifikation, sondern staatliche Loyalität im Vordergrund gestanden habe. Althoff habe mit der Berufung des staatsloyalen Liberalen die Ausbildung ultramontaner Kleriker an der Akademie eindämmen wollen. Dabei habe er sich informeller Praktiken bedient, die nach Kempe nur wenig mit der gängigen Berufungspraxis gemein gehabt hätten. Rein rechtliche Formalitäten seien dennoch eingehalten worden. Im kunstgeschichtlichen Beitrag von Anna Charlotte MÜLLER (Bonn) ging es um die Geschichte und Sammlung des bischöflichen Diözesanmuseums, dessen Gebäude 1966 abgerissen wurde und vielen Münsteranerinnen und Münsteranern weitestgehend unbekannt zu sein scheint. Dem hundertjährigen Bestehen des Museums steht zudem eine weniger als zehn Jahre und mit Unterbrechungen umspannende Öffnungsphase entgegen. Müller möchte mit ihrer Dissertation das Haus erneut „öffnen“ und die darin gesammelten Bestände sowie die Sammlungspraxis näher beleuchten.
Im Anschluss daran bot Marvin BECKER (Münster) spannende Einblicke in sein Dissertationsvorhaben, das sich inhaltlich mit den deutschen Christen, deren Einstellungen, Netzwerke und Diskurse von 1945 bis in die 1970er-Jahre befasst. Die Deutschen Christen (DC) bildeten innerhalb des deutschen Protestantismus jene Gruppierung, die sich während des „Dritten Reiches“ und darüber hinaus besonders eng an dessen totalitäre Ideologie anlehnte. Ihre Anhänger verstanden sich als Christen der Zukunft. Becker stellte fest, dass es auch nach 1945 und trotz interner Untersuchungen seitens der evangelischen Kirche DC Pfarrer gegeben habe, die alle weitestgehend auf regulären Pfarrstellen tätig gewesen sein. Ebenfalls in der Nachkriegszeit, genau genommen während des sogenannten „Wirtschaftswunders“, war der letzte Vortrag des Workshops von Fabian KÖSTER (Münster) angesiedelt. Köster befasst sich in seinem Dissertationsprojekt mit der kommunalen Kulturpolitik in den westdeutschen Industriestädten Gelsenkirchen und Wolfsburg im oben genannten Zeitraum. Beide Städte seien als kulturelle Wüsten wahrgenommen worden. Eine vermeintliche Traditionslosigkeit sei aber eher als Chance verstanden und die Begriffe „Industrie“ (Gelsenkirchen) und „junge Stadt“ (Wolfsburg) positiv besetzt worden. Köster möchte in seiner Arbeit unter anderem der Frage nachgehen, inwiefern sich Kultur identitätsstiftend auf die Kommunen auswirkte und wie innovativ, integrativ und progressiv sie funktionierte.
Der zweitägige Workshop, der in der Spitze von knapp 50 interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern verfolgt wurde, endete mit einer abschließenden Feedbackrunde. So bekamen nicht nur die Doktorandinnen und Doktoranden interessante Hinweise zu ihren Projekten, sondern auch die HiKo. Sie erhielt neue und spannende Anregungen zur Weiterführung und Weiterentwicklung des Formats wie auch zum Ausbau des Netzwerks für Doktorandinnen und Doktoranden im Allgemeinen. So wurde unter anderem der Wunsch geäußert, sich in unregelmäßigen Abständen zu treffen, um sich virtuell oder – falls möglich – in Präsenz weiter auszutauschen, zu vernetzen und sich gegenseitige Hilfestellungen zu leisten.